Juni 2014 - 041 Das Kulturmagazin - Das Experiment Industriestrasse geht weiter

Im Mai gab die Stadt Luzern die Ausschreibungskriterien für die künftige Bebauung der Industriestrasse bekannt, für die sich ab Juli lokale Baugenossenschaften bewerben können. Die Ausschreibung lässt vieles offen, etwa die Anzahl der Wohnungen, ihre Grösse und Mietzinse. Die Stadt begründet dies damit, dass sie den Baugenossenschaften kein Korsett aufzwingen will, sondern diese ihre Erfahrung und ihr Wissen spielen lassen sollen.

Das leuchtet ein. Zu viele Vorgaben würden wohl kontraproduktiv wirken, zumal in einem Wettbewerb ja auch neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Anderseits werden mit diesem Vorgehen auch viele Grundfragen und -dilemmata des Projekts (und das offensichtliche Konfliktpotenzial zwischen den heutigen Nutzern, der Stadt, den Bauherren und den zukünftigen Nutzern) an die Wettbewerbsteilnehmenden weitergereicht. Zum Beispiel und gerade in Sachen Kulturfreiräume: Wirft man einen Blick auf die Ergebnisse des partizipativen Prozesses, fällt auf, dass dort bei allen Punkten, die die Kultur betreffen, Dissens herrschte. Also etwa bei den künstlerischen Produktions- und Ausstellungsräumen oder Flächen für Kreativwirtschaft. Dass die Stadt diese Punkte als Empfehlung in die Ausschreibung aufnimmt, ist für die Kultur grundsätzlich eine gute Nachricht – drohten diese Themen während des Mitwirkungsprozesses doch unter den Tisch zu fallen. Verbindliche Vorgaben sind es aber keine. Und es wird sich zeigen, wie weit sich die Baugenossenschaften auf Aufgaben einlassen mögen, die nicht zu ihrem Kerngeschäft gehören und die viel Aufwand bedeuten. Und bedenkt man, dass beim Wettbewerbsentscheid die Rendite, also der angebotene Landwert, zu 50 Prozent gewichtet wird, schmälert das die Bedeutung der Empfehlungen empfindlich. Zum Vergleich: Bei der verworfenen Allreal-Überbauung wurde die Rendite zu 40 Prozent gewertet.

Für die heutigen Ateliernutzer eine schlechte Nachricht ist, dass die Stadt die Porzellanfabrik aus Sicherheitsgründen mittelfristig nicht erhalten, sprich das Areal etappenweise bebauen und die Räume währenddessen bestehen lassen will. Aber auch hier gehen die Meinungen auseinander: Laut einer Machbarkeitsstudie der IG Industriestrasse wäre die Bausubstanz gut genug. Hier würde sich eine unabhängige Prüfung, allenfalls auch durch den Bauträger, lohnen – für das Leben im Quartier ist eine langsame Entwicklung enorm wichtig.

Der Ball liegt also bei den Baugenossenschaften. Für sie gilt es nun, möglichst viele Empfehlungen zu erfüllen und gleichzeitig ihre wohnungspolitischen und ökonomischen Ziele zu erreichen – ein Drahtseilakt. Ob die Schaffung von günstigen Wohn- und Arbeitsräumen, wie sie die Industriestrasse-Initiative fordert, unter diesen Umständen das nötige Gewicht erhält, ist nur zu hoffen. Alles in allem gibt die Stadt mit der Ausschreibung keine klare Richtung vor, man spürt, dass sie in dieser Sache auf keinen Fall etwas falsch machen will. Farbe bekennen muss der Stadtrat im November 2014 – dann will er den Bauträger festlegen. Vors Parlament kommt der Bericht voraussichtlich im April 2015, er unterliegt dem fakultativen Referendum. 

Martina Kammermann

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