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Städtebauliches Vorzeigeprojekt oder städtebauliches Unvermögen?

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Städtebauliches Vorzeigeprojekt oder städtebauliches Unvermögen?

Auf dem ewl-Areal an der Industriestrasse in Luzern soll eine neue Überbauung entstehen. Doch gegen den Entwurf von Masswerk Architekten, E2A Architekten und Raymond Vogel Landschaften regt sich Widerstand.

Marcel Bächtiger, 06.08.2019, 13:05, Hochparterre

Gäbe es nur die Meinung der Jury und der Auslober, wäre alles in bester Ordnung: Das von den Totalunternehmern Halter und Eberli Sarnen eingereichte Projekt für die Überbauung des ewl-Areals, entworfen von Masswerk Architekten, E2A Architekten und Raymond Vogel Landschaften, stand nach Abschluss der mehrstufigen Gesamtleistungsstudie als eindeutiger Sieger fest. Ein kompetent besetztes Beurteilungsgremium um die Architekten Mike Guyer und Meinrad Morger, die Stadtplanerin Ute Schneider, den Landschaftsarchitekten Rainer Zulauf und Stadtarchitekt Jürg Rehsteiner bescheinigte dem Projekt «eine sehr hohe, städtebauliche, aussenräumliche, architektonische, nutzungs- und erschliessungsspezifische Qualität und Planungsreife». Das stadteigene Unternehmen ewl sprach von einem «urbanen, attraktiven und ökologischen Vorzeigeprojekt». Die Denkmalpflege lobte die bewusste Bezugnahme auf das industrielle Erbe des Areals sowie den Quartierplatz vor dem historischen Roten Haus im Zentrum der Überbauung. An der Medieninformation war gar von einem «Meilenstein im verantwortungsbewussten, nachhaltigen Städtebau» die Rede.

Das Wörtchen «urban»

Nun gibt es bekanntlich kaum eine Arealüberbauung, die sich nicht mit dem Wörtchen «urban» schmücken würde und damit alles Mögliche, mit ziemlicher Sicherheit aber eine hohe Ausnutzung meint. Vom anderen Zauberwort der Stunde, der «Nachhaltigkeit», weiss man nicht viel mehr, als dass es etwas Positives meint. Wenn deshalb die IG Industriestrasse nach Sichtung des Wettbewerbsprojekts dazu aufruft, auf dem ewl-Areal «per sofort die Notbremse zu ziehen», dann geschieht auch dies «im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung». Die Kritikpunkte indes sind ausgesprochen konkret: ein überladenes Raumprogramm, ein bauliche Wand gegenüber den Nachbarn, geschlossene Nutzungen im Erdgeschoss, ein abgeriegelter «Quartierplatz», dem man nicht traut. Für die IG Industriestrasse, die hinter der Volksinitiative «Für eine lebendige Industriestrasse» stand, welche wiederum das gemeinnützige Bauprojekt der Kooperation Industriestrasse auf der gegenüberliegenden Strassenseite ermöglichte, stellt das ewl-Projekt eine «eigentliche Antithese» zu den Forderungen der Initiative dar: «Statt massstäblich auf das umliegende Quartier einzugehen, wird zum einen geklotzt, zum anderen bleiben öffentliche Erdgeschossnutzungen die Ausnahme». Dass die Stadt als Bewilligungsbehörde und als Eigentümerin der ewl nicht korrigierend in das Projekt eingegriffen habe, zeuge von mangelnder Sensibilität oder «von schlichtem städtebaulichen Unvermögen».

Differenzierter, aber nicht weniger scharf argumentiert die IG Stadtentwicklung in einem offenen Brief an die ewl: Die Leistung der Architekten in der Bewältigung des Raumprogramms durchaus würdigend, stellen die Verfasser des Briefs gleichzeitig fest, dass die Masse des Raumprogramm schlicht keinen adäquaten Städtebau zulasse. Insbesondere werde die Chance eines durchlässigen Städtebaus, die sich mit der Öffnung des Areals ergeben würde, nicht ergriffen. Es erscheine fraglich, ob das Projekt noch «heilbar» sei: «Eineinhalb Jahre Prozess haben nicht zu einer adäquaten Lösung geführt, und vieles deutet darauf hin, dass nur eine Reduktion des Raumprogramms wirklich die wohltuende Linderung verschaffen würde.» Nichtsdestotrotz listet der offene Brief eine Reihe von konkreten Forderungen für die weitere Projektentwicklung auf, darunter die Aufhebung der vorgesehenen Parkplätze entlang der Industriestrasse, die Reduktion der versiegelten Flächen auf ein Minimum, ein verstärktes Augenmerk auf die attraktive Gestaltung des öffentlichen Raums sowie den Einbezug der Bevölkerung in die weitere Planung: «Eine Erarbeitung des Gestaltungsplans hinter verschlossenen Türen mit anschliessendem, stillschweigendem stadträtlichen Beschluss ist für die Bedeutung des Projektes nicht angemessen.» Wie die Luzerner Medien vermelden, stehen die Verantwortlichen bei der Stadt weiter zu ihrem «städtebaulichen Vorzeigeprojekt». Stadtrat Adrian Borgula (Grüne), der von Amtes wegen auch Verwaltungsrat der ewl ist, bestätigt das grosse Raumprogramm, weiss aber: «Modernes, urbanes Bauen heisst eben auch verdichten.» – Quod erat demonstrandum.

Realistische Stadt, realistische Sprache

Ein grosser Teil der neuen Flächen gehen an die städtischen Dienste, unter anderem an die Feuerwehr und den Notruf. Ihr grosser Fuhrpark befindet sich notwendigerweise im Erdgeschoss, was zu den bemängelten «geschlossenen Fassaden» auf Strassenniveau führt. Die grundsätzliche Frage ist deshalb, ob solche Nutzungen nach wie vor in der Innenstadt Platz finden sollen oder nicht. Und ob es nebem dem romantischen Ideal der kleinteilig-dichten, partizipativen und kollektiven Wohnstadt, wie sie im Projekt der Kooperation Industriestrasse mustergültig vorgezeigt wird, auch Platz geben darf für grosse Infrastrukturen, für Einstellhallen, für Bürobauten, für Parkplätze. Wenn diese Frage auch mit einem vorsichtigen Ja zu beantworten ist, dann entbindet sie nicht von der Verantwortung des städtebaulichen Dialogs mit dem Nachbarn. Vor allem aber sollten solcherart «realistische» Projekte nicht in die Hüllen der urbanen Marketing-Sprache gezwängt werden. Vereinfachend gesagt: Ein Fuhrpark ist schön, ein attraktives urbanes Wohnquartier, das in Wahrheit ein Fuhrpark ist, nicht.


Marcel Bächtiger, 06.08.2019, 13:05, HOCHPARTERRE

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